Motorrad

Klassentreffen

Vor einigen Tagen hat mich die Einladung zu einem Klassentreffen erreicht: 45 Jahre Abitur. Grund, mal wieder im Fotoarchiv zu stöbern. Die alten Klassenfotos zeige ich hier nicht, aber die Zweiradbilder sind durchaus ein interessanter Blick in die Siebziger.

Armin

Wir waren in Baden-Württemberg der letzte Jahrgang, der noch das ‚alte‘ Abi machen musste. Nach uns kam die reformierte Oberstufe. Und ich war mir, wie fast die ganze Klasse, ziemlich sicher, dass ich durchrasseln würde. Im größeren Teil des Unterrichtsstoffs der Oberstufe konnte ich wenig Erkenntnisgewinn erkennen, und ein fleißiger Auswendiglerner war ich überhaupt nicht. Das Kapitel „Der Ottomotor“ im Physikbuch wurde von unserem Physiklehrer übersprungen, da er darin keinerlei Kompetenz hatte. Die beschränkte sich darin, mit seinem dicken Schlüsselbund mit aller Kraft nach Schülern zu werfen, die er als Störer ausgemacht hatte. Dabei war das mit dem Vermitteln von ‚Schlüsselqualifikationen‘doch eigentlich anders gemeint, wenn ich mich richtig an mein späteres Pädagogik-Studium erinnere.

„Zwei Räder, ein Brett: Kreidler Florett.“ Ganz klein gemacht hinter der selbstgeschnitzten Lenkerverkleidung auf dem Kreidler Mokick und mit Vollgas die neu asphaltierte Straße runter. Laut dem Opel-Rekord-Tacho meines Vaters lief die von Hand- auf Fußschaltung umgebaute Rennsemmel mit Versicherungskennzeichen gute 80 km/h, statt der zulässigen 45. Zum Glück schien mein Vater im Opel das Mokick-Tempolimit nicht zu kennen.

In dem Alter waren erst Mopeds, dann Motorräder, natürlich das andere Geschlecht, und die aktuelle Musik der Siebziger Jahre (möglichst rockig und mit guten Texten) einfach interessanter. Mofas und Mokicks wurden (meist inkompetent) frisiert, weil das Geld für ein schnelles Kleinkraftrad und die horrend hohen Versicherungsbeiträge nicht da war. Das konnten sich nur Lehrlinge oder Kids wohlhabender Eltern leisten. Manche hatten das Tunen aber auch drauf: Ein Schulfreund wurde mit seinem Kreidler-MF2-Mofa mit gut 90 km/h geblitzt. Eine Helmpflicht gab es nicht, und viele verzichteten angesichts ihres knappen Budgets auch darauf.

Die Helmpflicht kam erst 1976 – Mofas ausgenommen.

1975 besorgte man sich als Sechzehnjähriger ein dünnes , kleines rotes Büchlein beim TÜV, lernte die darin enthaltenen Fragen und Antworten, meldete sich gegen Gebühr zur Prüfung an, füllte binnen 10 Minuten einen vierseitigen Fragebogen aus, und hatte den Führerschein Klasse 4 in der Tasche. Für Mofas brauchte man keinen.

Einmal durchackern und dann im Prüfungsbogen möglichst alles richtig ankreuzen.

Die Helmpflicht kam erst 1976, aber um meine Eltern zu beruhigen, kaufte ich einen gebrauchten Helm. Der Sohn von Nachbarn war ein Jahr zuvor bei einem Unfall mit seinem Mofa verstorben, mit Helm hätte er wohl überlebt. Und natürlich musste der Helm gut aussehen, also wurde er entsprechend per Sprühdose lackiert, und somit gleich zwei heute unvorstellbare Sünden begangen: Einen gebrauchten Plastikhelm kaufen und mit stark lösungsmittelhaltigem Lack lackieren. Trotzdem rettete er mich bei meinem ersten Sturz vor einem zerschundenen Gesicht.

Das Lackdesign hatte ich bei Yamaha abgekupfert.
Natürlich hatten auch einige Freunde den ersten Helm ihrem Geschmack entsprechend lackiert.
Für Lederkombis fehlte das Geld, meist wurde in Jeans, Jeans-Jacke, Anorak oder Parka, Turnschuhen oder Springerstiefeln gefahren.

Bei den Motorrädern waren die Japaner ganz vorne, aber bei den Mokicks und Kleinkrafträdern waren Kreidler, Zündapp und Hercules die vorherrschenden Marken. Das Yamaha-Mokick und der Malagutti-Crosser zweier Schulfreunde waren ziemliche Exoten.

Gefahren wurde Sommer wie Winter. Und der kleine Malagutti-Crosser lockte für einen Ausritt auf einer verschneiten Weide.

Da ich in der 11. Klasse eine Ehrenrunde gedreht hatte, waren die meisten Mitschüler ein Jahr jünger. Folglich musste meine 125er Honda dann doch bei mehreren auf irgendwelchen Parkplätzen oder asphaltierten Feldwegen als Übungsmaschine herhalten, um die Kosten für Fahrstunden niedrig zu halten.

Nagelneu. Günstig erstanden, da neue Modelle kamen. Die 125er Honda mit 12 PS wurde meist am Limit bewegt.
Endlich ein Motorrad! Das musste dann herhalten für’s…
…Üben für den Führerschein der Cliquen-Mitglieder. Mit Tempo und lässig im Sweatshirt. Jugendliche Unbekümmertheit eben.

Mit dem Zweirad kam dann auch die Freiheit, die nähere und weitere Umgebung mehr zu erkunden. Freunde, die irgendwo auf dem Dorf im Hinterland wohnten, kamen selbständig zur Schule, wir unternahmen gemeinsame Spritztouren, Konzerte im Umland waren plötzlich erreichbar. Mit der 125er ging es bis nach Paris.

Natürlich ging dann das Wettrüsten los. Dem Kumpel war die 125er Honda zu lahm…
…und ein aggressiverer Zweitakter in Gestalt einer 175er Suzuki musste her.
Die Mädels in der Klasse starteten dann gleich mit 200 oder 250 ccm durch…
…und andere legten mit 500 oder 750 ccm nach.

Natürlich ging das nicht immer gut. Die Unfallzahlen waren damals dramatisch hoch, und auch bei uns gab es leider solche Katastrophen. Umso mehr freut man sich über und mit denen, die diese Zeit heil überstanden haben, wenn man sie mal wieder trifft.

Der alte Moped-Kumpel das erste Mal nach einem schweren Unfall wieder auf einem Motorrad, hier 1978 auf meiner damals nagelneuen 400 Four. Wie er mir erst kürzlich gestanden hat, mit noch recht weichen Knien.

Mal sehen, wer beim Klassentreffen so auftaucht. Das letzte Mal habe ich mir den Spaß erlaubt, mit der 400 FOUR vorzufahren, die ich schon ein Jahr vor dem Abi gekauft hatte. Einige waren doch ziemlich überrascht. Und im nächsten Jahr bin ich ein halbes Jahrhundert auf motorisierten Zweirädern unterwegs. Eigentlich ein Grund zum Feiern.