Ich plünderte mein Konto restlos, packte mein Camping-Equipment und ein paar Klamotten ein und machte mich mit der Honda von Köln rheinaufwärts in Richtung Backnang auf den Weg. Mir war klar, dass mit dem Einstieg ins Berufsleben die große Freiheit enden würde. Aber vorher wollte ich mich den lange gehegten Wunsch einer Schottlandreise erfüllen. Und die sollte einfach so lange dauern, wie das Geld reichen würde. Ich ahnte nicht, dass es tatsächlich der beste Motorradurlaub meines Lebens werden sollte.

Ich hatte die Hoffnung, dass sich bei meinem Eintreffen in Backnang mein Freund Albert entscheiden würde, mitzukommen. Aber dem war nicht so. Doch dann, am vorletzten Abend vor meiner Abreise meinte er: “Ach, weißt Du was, ich komm mit.“ Er bepackte die Tiger, und zwei Tage später waren wir bei sengender Hitze unterwegs durch Frankreich in Richtung Calais, und schon bald sahen wir von der Fähre aus die weißen Felsen von Dover. Wir umfuhren das wuchernde London im Süden und nahmen die Severn-Bridge nach Wales, was das erste Ziel unserer Reise war.

Ab hier nahmen wir ausschließlich kleine Landstraßen unter die Räder, wo es uns gefiel, blieben wir auch mal einen Tag. Alleine Wales hat genug zu bieten, um einige Urlaubswochen dort zu verbringen. Und ganz anders als in Deutschland zu dieser Zeit, waren wir auf den Campingplätzen gern gesehene Gäste, wurden oft von anderen Campern schnell in nette Gespräche verwickelt. Keiner störte sich am Sound der Bikes, ganz im Gegenteil.


Natürlich stand fast jeden Abend am jeweiligen Übernachtungsort auch ein Pub-Besuch an, und als es mal ein paar Guinness mehr wurden, wanderten wir am anderen Morgen die Hänge des Snowdon hinaus, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ursprünglich wollten wir nur einen Spaziergang machen, doch der Ehrgeiz trieb uns schließlich bis auf den Gipfel. Als wir fast oben waren, hörten wir das Pfeifen einer Lok und konnten es kaum glauben: Auf der anderen Seite konnte man gemütlich per Dampfkraft hinauffahren.


Der Blick vom Gipfel war phantastisch, so ganz anders als von einem Alpengipfel. Der Snowdon ist mit über 1000 Metern der höchste Berg in Wales, sein walisischer Name Yr Widdfa bedeutet Grab oder Gruft. Und das kann er schnell werden, wenn das Wetter vom nahen Atlantik her umschlägt und die Winterstürme hereinbrechen. Nicht umsonst hat Edmund Hillary hier für die Besteigung des Mount Everest trainiert.

Wir arbeiteten uns entlang der Küste langsam in Richtung Norden, was auf den kurvenreichen Landsträßchen durch Täler und über Berge bei wenig Verkehr reichlich Spaß machte.


Dann stand ein unfreiwilliger Zwischenstop in Liverpool an, denn dort gab es einen Honda-Händler. Die Honda war mit ihren 12 Jahren und bald 100 000km nun schon ein älteres Motorrad, und Verschleißteile waren nicht mehr überall zu bekommen. Die Landsträßchen förderten einen eher sportlichen Fahrstil, und meine Bremsbeläge wurden, auch dank der Zuladung, plötzlich sehr viel schneller dünn als gewohnt. Und auch die neuen Reifen verloren das Profil erkennbar schneller dank des sehr rauhen und griffigen Asphalts der englischen Straßen. Bei unserer Heimkehr waren sie dann auch schon ziemlich grenzwertig.



Wir erreichten Cumbria, mit dem Lake District eines der beliebtesten Reiseziele der Engländer, die gerne über ihre Insel touren. Und obwohl diese Region touristisch sehr erschlossen ist, hatte sie sich ihre Ursprünglichkeit erhalten. Die Region mit ihren Bergen und Seen gefiel uns so gut, dass wir mehrere Tage die kleinen Pass- und Uferstraßen unter die Räder nahmen, bevor es durch Northumberland weiter Richtung Schottland ging.


Northumberland war noch einsamer, noch dünner besiedelt, als die Regionen die wir bisher durchfahren hatten. Erneut veränderte sich die Landschaft, weniger Hügel und Berge und nur kleine krüppelige Bäume. Hier herrschte der Wind, das sah man. Wir hielten uns nordöstlich bis wir Carter Bar und damit die Grenze zu Schottland erreicht hatten.

Nun war es nicht mehr weit bis Edinburgh. Bislang hatten wir herrliches Wetter gehabt, uns sogar einen leichten Sonnenbrand geholt. Edinburgh aber empfing uns mit Regen. So schön diese Stadt ist, bei tief hängenden Wolken und Regen kann sie schon düster wirken. Und weil wir eh wenig Lust auf städtisches Sightseeing hatten, machten wir uns auf den Weg Richtung Highlands. Zunächst führte uns eine der wenigen Autobahn-Etappen nach Glasgow. Wir fuhren durch die Stadt und Glasgow ließ erkennen, dass ein Wandel weg von der schmuddeligen Hafenstadt hin zu einer jungen, pulsierenden, kulturell aufblühenden Metropole begonnen hatte. Entlang am Loch Lomond fuhren wir weiter, in die Highlands, hoch zu den Hochmooren um Glencoe. Das Wetter war wieder herrlich und die Landschaft atemberaubend. Von Glencoe aus wendeten wir uns wieder der Westküste zu und verbrachten zwei, drei Tage nahe dem netten Hafenstädtchen Oban.

Gerne wären wir weiter die Westküste in Richtung Norden gefahren, dort gab es noch so viel zu sehen. Aber wir waren nun schon fast vier Wochen on the road, das Geld wurde weniger und der Rückweg war noch weit.

Kurzentschlossen drehten wir nach Süden ab und nahmen die Fähre von Cairnryan nach Larne in Nordirland. Bislang hatte ich den Norden Irlands stets gemieden. Nun fuhren wir die Küste im Norden entlang und machten natürlich einen Abstecher nach Giant’s Causeway, schließlich war dieser Ort durch ein Plattencover von Led Zeppelin unserer Generation bestens bekannt.

Dann bogen wir Richtung Süden ab, um uns entlang der Shannon-Seen nach Whitegate durchzuarbeiten. Auch Nordirland ist wunderschön, und als wir die Grenze zur Republik Irland passiert hatten, staunten wir nicht schlecht. Unser letzter Besuch lag einige Jahre zurück, aber nun schien das Land aus seiner Lethargie erwacht zu sein. In den kleinen Ortschaften wurden Häuser saniert und frisch gestrichen, kleine Läden und das eine oder andere Café hatten eröffnet.

In Whitegate legten wir ein paar Ruhetage ein, unternahmen aber einen Tagesausflug zu den Aran-Islands. Schließlich gab es inzwischen eine Fähre von Doolin, nahe den Cliffs of Moher. Auch dies sollte ein unvergessliches Erlebnis werden, denn wegen Sturm waren zwei Tage keine Fähren gefahren. So stand am Pier eine einsame 650er Yamaha mit deutschem Kennzeichen. Das zugehörige Pärchen hatte notgedrungen auf der Insel übernachten müssen. Und alleine die Überfahrt mit dem Hochseekutter durch wahre Wellenberge war ein Erlebnis. Die Brecher gingen einfach über das Boot hinweg, ich war samt Lederkombi klatschnass. Aber der stürmische Wind blies alles in kürzester Zeit wieder trocken.



Waren die Wellen hinter der Mole ‚nur‘ ein etwa sechs Meter hohes Auf und Ab, wurden sie auf offener See so hoch, dass man die etwa 200 Meter senkrecht abfallenden Cliffs of Moher nicht mehr sah, wenn der Kutter ins Wellental fuhr. Die etwa 45 Minuten Überfahrt ließen die Mehrzahl der Passagier-Mägen kapitulieren…


Der Heimweg war dann eine vertraute Route. Vorbei an Limerick ging es in den Süden nach Rosslare, von dort per Fähre nach Le Havre, und über Route National nach Deutschland. Fünf phantastische Wochen mit einem prima Freund, einige tausend Kilometer mit zwei altmodischen Motorrädern, bei bestem Wetter, mit zahlreiche erzählenswerten Erlebnissen waren nun vorbei.
Für mich ist es bislang mein bester Motorrad-Trip.