Motorrad

Reisen auf zwei Rädern: Paris

Endlich ein richtiges Motorrad. Zwar nur eine Honda CB 125 Disc, aber immerhin eine nagelneue Zweizylinder-Maschine mit Scheibenbremse. Mehr gab das Schülerbudget, hauptsächlich gespeist aus Ferienjobs, nun mal nicht her.

Armin

Pfingsten 1977 wollen wir ein paar Tage mit dem Zelt ins Elsass und packen unsere Sachen. Als alles Gepäck auf der Honda ist, türmt es sich fast so hoch auf, wie ich groß bin, und die Stoßdämpfer gehen fast auf Block. Auf den Ständer bekomme ich sie ohne Hilfe auch nicht mehr. Da muss bis zum Sommer für die geplante Tour an den französischen Atlantik das Gepäck wohl noch etwas ausgedünnt werden, die eine oder andere Utensilie durch ein platzsparenderes und leichteres Exemplar ersetzt werden. Wir lassen das Elsass sausen, machen stattdessen eine Tagestour nach Bad Friedrichshall und picknicken am Flussufer.

Als wir dann im Sommer nach Westen aufbrechen, verfügt die 125er über ein paar Packtaschen, gebaut aus preiswerten, aufgesägten und mit einfachen Scharnieren versehenen Wasserkanistern aus dem Baumarkt. Der Tankrucksack ist wie die Kunstlederkombis selbst genäht und wird mit zwei alten Gürteln auf den Tank geschnallt. Fantasie und Improvisation ist alles, wenn man knapp bei Kasse ist.

Das Wetter ist schön, und die Honda läuft gut, auch wenn das zulässige Gesamtgewicht doch etwas überschritten ist. In zwei Tagesetappen fahren wir ganz stressfrei nach Paris, wo ein paar Tage Sightseeing eingeplant sind. Der Campingplatz ist etwas außerhalb, nicht weit von Versailles, das zu einer der ersten von uns besuchten Sehenswürdigkeiten wird.

Auch ein Bummel entlang der Seine im Zentrum von Paris geht noch bei schönem Wetter. Die Händler haben auf der Mauer oberhalb der Seine ihre Stände fest installiert, eine Variante Verkaufsstand, die uns neu war. Notre Dame ist beeindruckend. Wer konnte damals schon ahnen, dass es von einem fürchterlichen Brand heimgesucht werden würde?

Dann setzt der Regen ein. Drei Tage regnet es ohne Unterbrechung, längst ist die Wiese auf dem Campingplatz völlig aufgeweicht und matschig. Den ganzen Tag in der Hundehütte aus Zeltleinwand macht rammdösig. Längst ist alles nass oder zumindest klamm, wir kochen ständig Tee, um wieder warm zu werden. Der Campingplatz verfügt über einen kleinen Aufenthaltsraum, in dem ständig ein Fernseher läuft. Der Wetterbericht kündigt für mindestens eine weitere Woche solches Wetter an, am Atlantik tobt sogar ein Sturm. Es macht also wenig Sinn, weiter in diese Richtung zu fahren.

Wir packen das nasse Zeug ein und fahren schweren Herzens anderntags vom Campingplatz. Die miserable Ausschilderung in Paris macht uns einen Strich durch die Rechnung einer schnellen Heimfahrt. Gegen 13 Uhr stehen wir plötzlich wieder am Arc de Triomphe de l‘Étoile. Als ein Flughafenbus vorbei kommt, hänge ich mich dran, denn der Flughafen liegt außerhalb. Nachdem wir den Autobahnring gekreuzt haben, gibt es auch wieder Wegweiser. Inzwischen sind wir nass bis auf die Haut, unser Gepäck ist im Dauerregen auch völlig durchweicht. Der Hunger treibt uns trotz kleiner Kasse zum nächstbesten Restaurant. Das ist dummerweise ein Fünf-Sterne-Laden, und wir stehen schmutzig und tropfend im Eingang. Als die Chefin auf uns zu flitzt, erwarte ich den sofortigen Rausschmiss. Stattdessen macht sie im vollen Lokal sofort einen Tisch für uns frei und bringt eine Kanne heißen Tee. Wir werden rührend bemuttert, die anschließenden Spaghetti sind Weltklasse, bessere habe ich nie gegessen.

Wir wollen die ganzen 700 Kilometer an diesem Tag hinter uns bringen, da auch die Schlafsäcke inzwischen nass sind, die Müllsäcke, in die sie gepackt waren, hat der Fahrtwind längst zerfetzt. Als uns auf der „Route Nationale“ an einer Steigung dann ein LKW mit geschätzten 83 Stundenkilometern überholt, während wir laut Tacho 82 Stundenkilometer fahren, fallen bei mir zwei Entscheidungen. Erstens: Ein leistungsstärkeres Motorrad muss her. Und zweitens: Nie wieder fahre ich mehr als 350 Kilometer an einem Tag. Die erste Entscheidung setze ich einige Monate später um, was aber die zweite Entscheidung hinfällig machen sollte.

Bei Pforzheim bin ich dann am Ende meiner Kräfte. Es schüttet noch immer, inzwischen ist es dunkel, und ich bin stocksteif gefroren. Mit der Sechs-Volt-Funzel sehe ich im Regen kaum etwas. Beim Abfahren von der Autobahn landen wir beinahe im Grünstreifen. Kurz nach der Ausfahrt taucht ein rettender Wienerwald auf. Wir trinken zwei Kannen heißen Tee und essen. Ganz langsam wird uns wieder warm. Die Wirtin telefoniert ganz Pforzheim für uns ab, aber wegen einer Großveranstaltung ist kein Zimmer für eine Nacht zu bekommen. Wir kramen die letzten noch nicht völlig nassen Klamotten aus dem Gepäck, ziehen uns um und machen uns auf den Weg. Noch etwa 150 Kilometer liegen vor uns. Die letzten zwanzig Kilometer nach Hause fahren wir dann tatsächlich im Trockenen. Sechzehn Stunden waren wir auf Achse, ich bin völlig am Ende und habe Schüttelfrost. Aber wir haben es geschafft. Und wir wissen jetzt, was man für das Reisen mit dem Motorrad braucht, damit es funktioniert und Spaß macht.