Rennstrecke

Suchtgefahr!

Es soll Menschen geben, die ohne Motorrad nicht klar kommen. Manche reden von einer Sucht.

Armin

Ich würde sagen: Motorrad fahren kann einem Erfahrungen vermitteln und Erlebnisse bescheren, die erlebbar machen, wie lebenswert das Leben doch ist. Wenn es dann um Fahren auf der Rennstrecke unter Wettkampfbedingungen geht, fällt es mir deutlich schwerer, dem Statement „Sucht“ zu widersprechen. „Sucht bezeichnet das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums“, so das Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. Das mit dem unabweisbaren Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand lässt sich nicht so richtig leugnen. Die erste Hälfte meiner Motorrad-Jahre habe ich die Rennfahrerei als völlig verrückt und lebensverneinend abgetan. 35 Jahre Berufstätigkeit im sozialpsychiatrischen Kontext und die täglich erlebte soziale und politische Realität unserer Gesellschaft wie auch der weltweiten Entwicklungen lassen einen aber dann doch erheblich daran zweifeln, ob der Begriff „verrückt“ immer auf das zutrifft, was gemeinhin so bezeichnet wird. Oder ob nicht oft genug das, was, weil alltäglich, als normal bezeichnet wird, viel verrückter ist.

Nach achtzehn Jahren mit meiner Honda CB 400 Four jedenfalls fühlte ich ein Verlangen nach einem Zweitmotorrad. Es sollte ein Kontrast zur Honda sein, neue, andere Erlebnisse möglich machen. Und da ich die Technik der Honda inzwischen ganz gut im Griff und Spaß am Schrauben gefunden hatte, durfte es gerne älter und gegebenenfalls technisch anspruchsvoller sein. Dabei hatten die Erfahrungen mit der Triumph Tiger T140 meines besten Freundes, die wir auf zahllosen gemeinsamen Motorrad-Kilometern gemacht haben, wesentlich Einfluss auf meine Wahl. Es sollte ein Engländer werden. Und es sollte ein anderer Engländer werden. Warum nicht eine Schippe drauflegen, dachte ich mir und liebäugelte mit einer Norton Commando.

Ein Studium der Geisteswissenschaften kann prägend für ein ganzes Leben sein. Da ich in jungen Jahren schon eine Leseratte war und mich im Studium neuen Themen über die Fachliteratur nähern musste, tu ich das bis heute bevorzugt auf diese Weise. Bald hatte ich genug Wissen über die diversen Modelle, ihre Stärken und Schwächen. Das änderte allerdings überhaupt nichts daran, dass meine finanziellen Möglichkeiten und die gängigen Preise nicht mal ansatzweise kompatibel waren. Inzwischen aufmerksam auf die Marke Vincent geworden, liebäugelte ich mit einer Egli-Vincent, was den Preis-Finanzmittel-Konflikt noch verschärfte.

Bei meinem ausgiebigen Literatur-Studium zu englischen Bikes hatte sich allerdings noch ein Motorrad in meinem Hinterkopf eingenistet: Die englischen Rob North Triples von Triumph und BSA. Nun sind auch diese Motorräder nicht im unteren Preissegment angesiedelt, und außerdem reinrassiges Renngerät. (Und Rennen fahren ist ja verrückt …) Also rückten jene Triples mit Straßenzulassung in meinen Fokus. Das Ergebnis war der Kauf einer völligen Ruine, die aber immerhin bezahlbar war. Ihr Neuaufbau wird an anderer Stelle geschildert.

Als der Triple komplett restauriert und mit neuem TÜV auf den Rädern stand, war ich so ziemlich jedes Wochenende „On The Road“, um den Motor einzufahren. Das planlose Fahren hatte ich allerdings schnell satt. Also wurden die Veranstaltungshinweise der einschlägigen Oldtimer-Presse studiert – ja, da fing das Internet gerade erst an – und da fand sich in der richtigen Entfernung für eine Tagestour in der schönen hessischen Wetterau-Vogelsberg-Region der Schottenring-GP. Eine Veranstaltung, bei der historische Rennmaschinen nach „Gleichmäßigkeitsmodus“ bewegt werden sollten. Von „Rennen“ stand da nichts, und historische Motorrad-Technik ist immer interessant, also los, am Abend würde meine Trident weitere 400 Kilometer eingefahren sein.

Schon fast einen Kilometer vor dem Ortsschild Schotten bekam man beinahe einen Flash. Die Straße für den Durchgangsverkehr gesperrt, überwiegend ältere Motorräder entlang der Straße in vier Reihen geparkt, Ordnungsbeamte der Kommune in grauer Uniform ausgesprochen freundlich als Einweiser tätig. – Ich dachte, ich bin irgendwo im Ausland, das ist in Deutschland nicht möglich, völlig ausgeschlossen! Die Triumph Trident bekam standesgemäß einen Platz neben einem Laverda-Triple, und ich hörte schon das Donnern von Motoren, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.

Was ich an jenem Tag in Schotten zu sehen bekam, mag gleichmäßig gewesen sein. Aber es war in jedem Fall schnell. Sehr schnell. Und es war der erste Teil der Sucht-Infektion. Ab da traf ich mich in den nächsten Jahren mit meinem alten Kumpel immer in Schotten für das ganze Wochenende zu dieser Veranstaltung. Und während anfangs noch mein Respekt vor dem, was die Fahrer der alten Renner drauf hatten, klar überwog, schlich sich langsam die Lust ein, es selbst zu versuchen. Dem standen allerdings die hohen Preise für solche Schätzchen ganz klar entgegen, das war nicht erreichbar.

Das blieb so bis zu dem Tag, als ich in einer Zeitschrift las, der VFV führt die „Clubsport-Klassen“ ein, Klassen für Serienmotorräder insbesondere der sechziger und siebziger Jahre, die mittels zeitgenössischem Tuning-Material zu Rennmaschinen umgebaut wurden. Nun, in meinem Teilefundus lagen zwei Rahmen, diverse Räder, Tanks, Motoren und eine Verkleidung für die Honda 400 Four, und es gab da doch mal ein Yoshimura-Tuning-Kit

Ich hängte mich ans Telefon, um meinen Triumph-Schrauber über die neue Entwicklung zu informieren, schließlich hatte er eine renntaugliche Rickman-Trident in seiner Sammlung stehen. Als Antwort auf meine Nachricht bekam ich dann ein lapidares: „Ich weiß, ich baue schon!“ Sein Dreizylinder-Renner und mein Honda-Renner – alles Geschichten, die ich noch berichten werde.

Der erste Start in einem Classic-Rennen dürfte in der Regel über die Suchtfrage entscheiden: Entweder man liebt es trotz aller Probleme, Schwierigkeiten, Arbeit, Sorgen und Ängste und kann einfach nicht mehr damit aufhören. Es geht um diesen „bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet.“ Oder man startet kein zweites Mal. Entschieden bestreiten würde ich allerdings die folgende Aussage, insofern kann man also wohl nicht wirklich von einer Sucht sprechen: „Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums.“ Ich habe in den Fahrerlagern sehr interessante, ausgeprägte, bewundernswerte und sympathische Persönlichkeiten kennengelernt, wie ich sie in dieser Häufung in anderen Gruppen selten angetroffen habe. Und es haben sich etliche haltbare Freundschaften entwickelt. Nein, Motorrad-Rennen hat nichts mit „verrückt sein“ zu tun. Der besondere „Erlebniszustand“ ist einfach ein intensives Lebensgefühl, wie man es selten erlebt. Wie sagt Anthony Hopkins als Burt Munro in „Mit Herz und Hand“: „Du erlebst mehr in fünf Minuten auf so einer Maschine bei Vollgas, als manche Menschen in ihrem ganzen Leben.“