Werkstatt

Projekte (2)

Das Versprechen

Armin

Manche Dinge brauchen etwas länger. Sehr viel länger. 1988 lebte ich noch in Köln, im Stadtteil Nippes, in einem Haus, das um 1900 gebaut wurde. Im aus Ziegeln gemauerten Keller hatte ich mir eine erste kleine Werkstatt eingerichtet, im Estrichboden etwa sieben Meter Rattengänge aufgestemmt und zubetoniert, die Wände ausgebessert, gestrichen, Strom gelegt und für die Briketts eine Ecke abgetrennt.

Irgendwann ließ der Vermieter dann die teilweise vollgemüllten Keller entrümpeln. Ich holte gerade Briketts aus dem Keller, als einer der Jungs einen Arm voll Sperrmüll die steile Kellertreppe hinauf trug, über die Schulter hatte er sich den Krümmer samt Auspuff eines Motorrads gehängt. Es handelte sich eindeutig um Vorkriegsmaterial. Bei mir schrillten alle Alarmglocken, und ich kassierte das Teil sofort ein, so was war viel zu wertvoll für die Schrottpresse.

Einige Tage später sprach ich Günter darauf an. Er lebte als Rentner mit seiner Frau im Erdgeschoß, war 1946 eingezogen und hatte zusammen mit ihr und anderen Bewohnern die weggebombte Giebelwand aus Trümmerziegeln neu gemauert, die sie von der Straße sammelten. Es lagen so viel Trümmer vor dem Haus, dass er ebenerdig über die Fensterbank in die Wohnung gehen konnte. Aus Zement gossen sie Dachpfannen, um das Loch, das ein Blindgänger vom Dach bis ins Erdgeschoss geschlagen hatte, wieder zu schließen.

Im Hof standen zur Selbstversorgung Hasenställe und im Keller wurde schwarz Schnaps gebrannt und an eine Kneipe im Niehler Hafen geliefert, die vorwiegend englische Soldaten besuchten. Beim Schwarz-Brennen stand der Nippeser Dorfpolizist vorne an der Haustüre Schmiere. Als Transportfahrzeug zum Abnehmer musste das 350er DKW-Gespann, das Günter sich zugelegt hatte, herhalten. Im Alltag war es das Familientransportmittel. Erst als das zweite Kind unterwegs war, kam ein VW Käfer als Nachfolger, damals das einzige Auto in der Straße. Versuche einer heute dort einen Parkplatz zu finden, er wird mindestens dreißig Minuten durch’s Viertel kreuzen …

Als ich Günter den Auspuff unter die Nase hielt, kam ein überraschtes: „Dat iss ja von minger Maschiien!“ Er hatte die DKW teilzerlegt in seinem Keller eingelagert. Und als es seiner Frau zu eng darin wurde, hatte sie das eine oder andere Teil klammheimlich in den angrenzenden, ungenutzten, vermüllten Keller entsorgt. Glücklicherweise war das meiste noch vorhanden, wie eine schnelle Bestandsaufnahme ergab. Nur der Seitenwagen fehlte, ihn hatte er in den sechziger Jahren an einen Kollegen aus dem Schützen- und Jagdverein abgegeben. Einige Tage später meldete sich Günter bei mir. Er hatte begeistert die Restaurierung meiner Trident verfolgt und machte mir nun ein Angebot. Ich sollte die DKW bekommen, da er sie eh nicht mehr auf die Straße bringen würde. Einzige Bedingung: Ich sollte sie wieder flott machen, wenn ich die Zeit fände.

Aber wie das so ist: Die Jahre vergingen, es kam der Wechsel in einen anspruchsvollen Job, Heirat, Hauskauf und -bau, Kinder und viele andere Projekte. Günter ist schon lange tot. Leider. Aber ich werde wohl im kommenden Winter mal anfangen, das DKW-Projekt in Angriff zu nehmen. Schließlich habe ich Günter damals versprochen, seine DKW wieder auf die Straße zu bringen. Zwei-Takt-Vorkriegs-Technik – mal eine ganz andere Anforderung. Ein zeitgenössisches Seitenwagenfragment und diverse fehlende Teile habe ich schon aufgetrieben …